Kurz gebloggtSocial Media

Höher, schneller, weiter: Was sagen Nutzerzahlen eigentlich aus?

Was für ein Durcheinander: Eine aktuelle Studie des digitalen Branchenverbandes BITCOM spricht von 47 Prozent Facebook-Nutzer in Deutschland. Andere widersprechen und werfen die Zahlen 40 Prozent und 21 Prozent in die Runde. Überhaupt kursieren zu Social Media derzeit eine ganze Reihe an Studien und Zahlen, mit denen sich alles be- und widerlegen lässt. In der Präsentation vor dem Kunden, macht es sich natürlich toll, wenn man mit einer möglichst großen Zahl von Nutzern operieren kann. Ebenso sind die 21 Prozent Wasser auf die Mühlen aller Skeptiker, die sagen, brauchen wir nicht. Aber was sagen die Zahlen denn nun wirklich aus? Ich befürchte sie werden vielfach immer noch mit Relevanz und Reichweite gleichgesetzt. Nur lässt sich dies nicht so einfach eins zu eins übertragen.

Alles richtig, alles eins

Vorweg, wirklich falsch ist keine dieser Zahlen und soweit ich das überblicke, gehen alle von der absoluten Zahl von 17, 92 Mio. aktiven Facebooknutzern in Deutschland aus. Sie unterschieden sich nur in der Annahme der Basis für ihre Berechnungen. Dementsprechend kommt natürlich eine ganz anderer Prozentsatz heraus, wie viele Deutsche auf Facebook aktiv sind. Während sich die 21 Prozent auf die Gesamtbevölkerung beziehen, beziehen sich die 40 resp. 47 Prozent auf die Internetnutzer in Deutschland. Die Differenz zwischen 40 und 47 Prozent ergibt sich dabei daraus, dass einmal die unter 14 Jährigen ausgeschlossen werden und einmal eben nicht. Und der Erkenntnisgewinn? Facebook ist groß, größer als alle anderen Netzwerke in Deutschland – kann man für die BITCOM-Studie so stehen lassen. Da das Verhältnis der Zahlen untereinander unabhängig von der Basis ist, kann man sogar stehen lassen, dass Facebook fast doppelt so groß ist wie die nachfolgenden VZ-Netzwerke. Mehr aber auch  nicht. Im Rahmen der anderen Studie, die von 21 Prozent der Gesamtbevölkerung ausgeht, die auf Facebook vertreten sind, kann man durchaus sehen, dass Deutschland, im Gegensatz zu Großbritannien mit 48,5 Prozent, noch ein Facebook-Entwicklungsland ist. Dabei liegt Deutschland in direkter Nachbarschaft zu Jordanien, Polynesien und den Philippinen im weltweiten Vergleich nur auf Platz 96. Hört sich verdammt bitter an und macht sich gut, wenn man erklären will, dass das Social Media in Deutschland noch keine Relevanz hat. Allerdings gibt die gleiche Studie auch her, dass Deutschland bei der absoluten Zahl der Nutzer mit 17,92Mio. auf Platz 11 der weltweiten Statistik liegt und im letzten halben Jahr ein Wachstum von  rund 50 Prozent zu verzeichnen hatte. Wow, schon wieder eine große Zahl. Und alle Zahlen stimmen irgendwo, und nu? Wenn man ganz redlich bleiben will bei der Interpretation der Zahlen, dann kann man nur Aussagen über das Verhältnis treffen: Facebook ist größer, als alle anderen Netzwerke. Deutschland hinkt im internationalen Vergleich hinterher, holt aber rasant auf. Punkt.

Nutzerzahlen sind keine Reichweite

Gleichzeitig sehe ich aber auch eine latente Gefahr, wenn man nur mit Zahlen operiert und Social Media nicht weiter erklärt. Natürlich wollen potentielle Kunden Zahlen wissen. Es herrscht ja auch eine gewisse Zahlengläubigkeit, der ich mich auch nur schwer entziehen kann. Zahlen wirken halt immer so hübsch objektiv. Nur habe ich den Verdacht, dass hinter den ganzen Zahlenspielereien immer noch das alte Reichweitedenken hervorlugt. Zumindest kann man annehmen, dass bei Unternehmen, die sich bislang nur rudimentär mit Social Media beschäftigt haben, die Zahlen vor diesen Hintergrund interpretiert werden. Nur sagen die Nutzerzahlen von Facebook gar nichts über die Reichweite aus, außer dass 17,92 Mio. Menschen eine ganze Menge sind. Kein Unternehmen und auch keine Privatperson, Künstler oder wer auch immer wird die 17,92 Mio. Menschen erreichen. Denn in Social Media geht es darum Inhalte so interessant zu gestalten, dass die Menschen sich aktiv dazu entscheiden, sie weiter zu „abonnieren“. Man erreicht also tatsächlich nur die Nutzer, die sich wirklich für das Unternehmen interessieren. Und selbst die so erzielten Follower- oder Fanzahlen sind immer noch kein Beleg für die Reichweite. Social Media haben immer eine Netzwerkkomponente. Inhalte, die interessieren, werden dabei im eigenen Netzwerk weiterverbreitet und unter Umständen von weiteren Personen aufgegriffen und wiederum weiterverbreitet. Wenn man in diesem Sinne von Reichweite sprechen will, dann muss die Reichweite für jede Information, Nachricht und Blogbeitrag einzeln betrachtet werden. Follower- und Fanzahlen werden hier zu einer rein statistischen Größe, welche die Wahrscheinlichkeit beschreibt, dass Informationen wahrgenommen und weiterverbreitet werden.

Es gibt nicht das Social Media, sondern nur die Social Media

Bleibt die Relevanz von Social Media, über die die allgemeinen Nutzerzahlen etwas aussagen könnten. Doch auch hier ist die Aussagekraft der Zahlen mit Vorsicht zu genießen. Außer der ganz allgemeinen Aussage, dass Facebook in Deutschland an Relevanz gewinnt, bleibt nicht viel übrig von den Zahlen. Wenn man möchte, kann man Facebook noch absolut setzen und sagen, dass Social Media an Relevanz gewinnen. Alles andere verliert sich in der Einzelfallbetrachtung. Denn das Social Media gibt es nicht, sondern nur die Social Media. Und die Social Media sind äußerst heterogen. So hat Facebook für ein B2B-Unternehmen unter Umständen nur eine bedingte Relevanz. Genauso sind die VZ-Netzwerke zwar kleiner als Facebook, doch für einen Füllfederhalterhersteller (herrliches Wort) haben sie durchaus eine ähnliche Relevanz, weil sich hier mit den Schülern eine Zielgruppe findet, die Füllfederhalter benötiget. Zudem tragen allgemeine Nutzerzahlen der unterschiedlichen Kultur, der Netzwerke keine Rechnung. Nimmt man nur mal den gerne gezogenen Vergleich zwischen Facebook und Twitter. Aktuell hat Twitter nach den Webevangelisten 480.000 aktive Nutzer. An anderer Stelle las ich von 2 Mio. aktiven Nutzern, finde nur gerade die Quelle nicht auf die Schnelle. Von den Zahlen wie immer ein klare Sache für Facebook. Nur jetzt kommt das „aber“. Facebook ist weit mehr ein Freundes- und Bekanntennetzwerk als Twitter. Dafür ist Twitter ein wesentlich stärkeres Nachrichten und Informationsnetzwerk. Dementsprechend finden sich auf Twitter weit mehr „Heavyuser“, die Twitter dazu nutzen, Informationen zu sammeln und sie über andere Netzwerke, wie eben Facebook, Blogs und Foren weiterzuverbreiten. So hatten 2010 45 Prozent der Twitternutzer eine eigene URL in ihrem Profil angegeben. Ich schätze, bei einer Vielzahl werden sich hinter der URL Blogs verbergen. In dieser Hinsicht strahlen Informationen weit mehr über Twitter hinaus, als dies bei Facebook der Fall ist. Facebook ähnelt hier mehr einem Silo, in dem Informationen verschwinden und nicht wieder auftauchen. Ganz abgesehen davon, dass alle Tweets bei Google gefunden werden können, Facebook-Statusupdates hingegen nur wenn sie öffentlich sind. Wenn man fortfahren will, lassen sich noch eine ganze Reihe an Vor-und Nachteilen finden, die für das eine oder das andere Netzwerk sprechen. Insgesamt gilt es für Unternehmen abzuwägen, welches der Netzwerke mit welchem Ziel sinnvoll ist. Ohne eine intensive Auseinandersetzung mit Social Media, sind die reinen Nutzerzahlen auf jeden Fall keine Entscheidungshilfe.

Nutzerzahlen vermitteln ein erstes Bild zur Relevanz von Social Media und sind sicherlich bei der Überzeugungsarbeit wichtig. Nur unterschiedet sich die innere Logik von Social Media fundamental von der Logik klassischer Medien. Eben weil der Netzwerkeffekt fehlt, gibt die Auflagenhöhe ein weit realistischeres Bild der Reichweite, als dies Follower-Zahlen tun. Wenn nun die Überzeugungsarbeit bei den höher, schneller, weiter Zahlen stehen bleibt, läuft man Gefahr, dass das Verständnis für Social Media auf der Strecke bleibt. Eigentlich müsste man sogar umgekehrt anfangen, denn erst wenn man die Wirkungsweise von Social Media verstanden hat, kann man die Zahlen richtig interpretieren.Die Reichweite und Relevanz von Social Media lässt sich nur schwer mit einfacher Mathematik berechnen. Sehr schön hat dies auch Ralf Schwartz auf seinem Blog Mediaclinique zusammengefasst.

5 Gedanken zu „Höher, schneller, weiter: Was sagen Nutzerzahlen eigentlich aus?

  • Danke für die Zusammenstellung. Wobei die Zahlen nur Aspekt sind. Wenn Burgerking 50,000 WHOPPER an neue Fans verschenkt, kann man der ‚Wert‘ des Fan für das Unternehmen gut abschätzen. Ich las kürzlich irgendwo (sinngemäß). Unternehmen beschäftigen sich heute mehr mit dem Zählen ihrer Fans als mit den Kunden.

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    • TotterturmNo Gravatar

      Schöner Satz: Unternehmen beschäftigen sich mehr mit dem Zählen ihrer Fans als mit den Kunden. Leider steckt da viel Wahrheit drin.

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  • Marcus DegeNo Gravatar

    Weil viele Unternehmen Social Media immer noch nicht richtig verstanden haben (oder vielleicht müssen Sie es auch nicht?) und nur Ihre „Likes“ und „Follower“ zählen und sich somit nur auf quantitative Aspekte beschränken. Gerade „große“ Unternehmen, wie Burger King (50000 Whoppper für 50000 Fans) oder PayPay (in 4 Tagen über 110000 Fans) generieren durch solche Aktionen in unglaublich kurzer Zeit sehr viele Fans.

    Das sich mit Incentives solche Marketingerfolge erzielen lassen, kann jeder nachvollziehen, der auf seiner Internetseite mal ein attraktives Gewinnspiel platziert hat und das in entsprechende Foren gepostet habt.

    Aktuelle Fanzahlen von Burger King findet man hier: http://allfacebook.de/tracking/burgerking

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    • TotterturmNo Gravatar

      Hm, ehrlich gesagt bin ich bei der Aktion gerade ein wenig zwigespalten. Im ersten Moment sieht es nach einer klassischen Marketingaktion aus, die eins zu eins in Facebook kopiert wurde. Kurzfristig kann so etwas natürlich Fans bringen. Richtig beurteilen kann man die Aktion aber erst in ein paar Monaten, denn die entscheidende Frage ist, was mach Burger King mit den so gewonnen Fans? Wenn sie die nächste ähnliche Aktion draufsetzen, dann haben sie Social Media nicht verstanden. Nutzen sie die verbreiterte Basis aber für den Dialog, schaffen Anreize zum Mitmachen und Teilen von Inhalten, etc., dann kann die einmalige Aktion durchaus einen langfristigen Wert für das Unternehmen entwickeln.

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  • Pingback: Die Woche im Rückspiegel – KW 15-2011 | kadekmedien's Blog

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