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Medienflut fördert Kontaktarmut – Sinn und Unsinn einer Studie

Eine merkwürdige Studie machte da gestern in meiner Twitter-Timeline die Runde. Die Stiftung Zukunftsforschung (Eine Initiative von American Tobako) schoss die recht reißerische Überschrift raus: „Die Medienflut fördert die Kontaktarmut“. Wasser auf die Mühlen der Skeptiker rund um Schirrmacher also. Und in diesem Tenor erfolgt auch die Interpretation des Zahlenwerks. Nur passen die wortgewaltigen Interpretationen nicht immer zu den Fragestellungen.

Fairerweise muss man sagen, dass es zu der Studie auf der Seite der Stiftung Zukunftsforschung nur einen kurzen Pressetext gibt. Ein Download ausführlicherer Informationen steht leider nicht zur Verfügung. Mich hätten vor allem die konkreten Fragestellungen interessiert. Denn greift man auf die vorliegenden Informationen zurück, so sind die meisten der Interpretation in ihrer negativen Tendenz doch recht gewagt. So wird schon am Anfang des Textes zur Studie fabuliert:

„Doch der von Bill Gates stolz propagierte „Web Lifestyle“ stößt in Deutschland zunehmend auf psychische und soziale Grenzen. Die „kaum mehr überschaubare Medienflut“ produziert Infostress: „Man fühlt sich förmlich überrollt“ meint mittlerweile eine knappe Mehrheit der Bevölkerung (1998: 40% – 2010: 51%). „

Eine hübsches Stück Prosa, das allerdings wenig mit der in der Erhebung gestellten Frage zu tun hat. Laut nebenstehender Infografik heißt es lediglich „Unüberschaubare Medienflut“. Da die Prozentzahlen hinter diesem Punkt die selben sind, vermute ich mal, dass es sich hier um eben diese Frage handelt. Abgesehen davon, dass schon „Medienflut“ ein tendenziöser Begriff ist, lässt sich die Fragestellung in dieser Form schwerlich als „vom Infostress überrollt“ interpretieren. Denn hier wurde nichts anderes als eine Einschätzung abgegeben, dass die Anzahl der Medien oder besser Informationsquellen im Internet nicht mehr zu überschauen ist. Dabei ist in der Aussage keine Wertung enthalten, ob man dieses als positiv oder negativ empfindet. Zumal das Ergebnis einer anderen Fragestellung dem „Infostress“ widerspricht. Weiter unten heißt es:

„Auch nutzen viele den Computer als Rückzugsnische mit der Begründung, auf dieser Weise „dem Stress und der Hektik des Lebens zeitweilig zu entfliehen“ (1998: 30% – 2010: 44%).“

In hübscher Weltuntergangsprosa geht es dann weiter im Text. Man könnte fast meinen, wir müssten das Internet morgen abstellen, weil es für die Deutschen keinen Sinn macht.

„Und Internet, das Netz der Netze, ist inzwischen zur größten persönlichen Enttäuschung der Deutschen geworden. Eine deutliche Mehrheit der Bundesbürger ist zu der Überzeugung gelangt: „Die mitmenschlichen Kontakte werden dadurch seltener. Die Vereinsamung nimmt eher zu“ (1998: 41% – 2010: 59%).“

Da ich nicht denke, dass sich 59 Prozent der Deutschen vereinsamt fühlen, handelt es sich hier wohl eher um eine allgemeine Einschätzung, als um eine persönliche Erfahrung. Damit stellt sich anstatt der voreiligen Interpretation vielmehr die Frage hinter der Frage. Wieso schätzen die Deutschen dies so ein? Explizit wird es in der Studie nicht erwähnt, aber ich vermute mal, dass sich die Einschätzung auf die steigende Nutzung von Sozialen Netzwerken bezieht und hier von den Befragten nur ein gängiges Vorurteil bestätigt wird. Zumal schon die Fragestellung suggestiv in diese Richtung weist. Spannend wäre dabei erst die Frage nach der persönlichen Erfahrung der Menschen gewesen. Ich denke, dass ein Großteil diese anders beantwortetet hätte. So klingt es in der aktuellen Studie des Branchenverbandes BITKOM, in der die Fragestellung konkreter ist, schon ganz anders:

„Handfeste Vorteile in Beruf und Freizeit verschafft das Web bereits jetzt vielen Nutzern. 62 Prozent haben ihre Allgemeinbildung verbessert, jeder zweite (51 Prozent) seine berufliche Bildung. Fast ebenso viele (44 Prozent) haben Kontakte für den Job geknüpft. „Das Internet ist nicht nur eine Wissensquelle, sondern auch ein soziales Medium par excellence“, sagte Prof. Scheer. 57 Prozent der Surfer haben bestehende Freundschaften auffrischen können, und immerhin jeder dritte (36 Prozent) hat nach eigenem Bekunden gute Freunde kennengelernt.“

Vielleicht steckt eine Teil-Antwort, warum die Menschen meinen, eine Tendenz zur Vereinsamung zu erkennen, auch in der folgenden Passage der Studie der Stiftung Zukunftsforschung.

„Ein wachsender Teil der 14- bis 34-Jährigen vermisst zunehmend „beständige Beziehungen“ (1998: 42% – 2010: 53%). Als Internet-Surfer können sie wie Nomaden überall in der Welt, aber am Ende immer weniger zu Hause sein. Opaschowski: „Sie stehen ständig unter Strom und drohen dabei ihren Halt im Leben zu verlieren.“ Noch hält sich für sie die Tendenz zur „Vereinsamung“ in Grenzen (1998: 39% – 2010: 44%). Doch die Folgen sind absehbar, weil auf ihre Beziehungen ohne Bestand kein Verlass mehr ist.“

Was Prof. Dr. Horst W. Opaschowski kann, kann ich ja schon lange. Ich interpretiere mal um und stelle, angelehnt an die BITKOM Zahlen, die These auf, dass sich die „beständigen Beziehungen“ im Untersuchungszeitraum gar nicht großartig verändert haben. Was sich durch Social Media verändert hat, ist die gestiegene Zahl der „losen Kontakte“. Durch das veränderte Verhältnis zwischen losen und beständigen Kontakten hat sich dabei auch die Wahrnehmung verändert. Soziale Beziehung werden heutzutage insgesamt nicht mehr so beständig empfunden, weil es eben mehr lose Beziehungen als früher gibt und sie damit stärker in den Fokus der eigenen Erfahrung rücken. (Zahlen dazu aus einer Langzeitstudie wären mal wirklich interessant).

Auf die weiteren Interpretationen der Studie will ich jetzt nicht tiefer eingehen, denn schon die Fragestellungen erscheinen mir recht krude und wenig zielführend. Was bleibt ist die Erkenntnis, dass die Deutschen das Internet und Social Media scheinbar sehr kritisch einschätzen, es im Alltag der Menschen aber immer mehr und ohne Vorbehalte genutzt wird. Insgesamt erinnert mich das an die Vorlesung „Stereotyp und Vorurteil“, die ich in grauer Studienvorzeit mal belegt hatte. Generelle Einschätzung/Werthaltungen und konkretes alltägliches Handeln und Erfahren muss nicht immer konsistent sein. So können sich Menschen generell ausländerfeindlich äußern und gleichzeitig aus persönlicher Erfahrung sagen, dass Mehmet von nebenan ein prima Kerl sei.

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