Social Media

Shitstorm – Die Inuit haben Einhundert Worte für Schnee

5028233_700b_v1Heissa Hoppsa, da schlagen die Wogen aber hoch in der Debatte um den Begriff Shitstorm. Soll man diesen Begriff, ja darf man ihn überhaupt, noch verwenden? Wenn es nur um die Deutungshoheit über den Begriff geht, sehe ich das Ganze eigentlich pragmatisch. Der Begriff ist einmal in der Welt und er wird nicht so schnell wieder verschwinden. Vor allem weil er in den klassischen Medien stark befeuert wird, taucht er zwangsläufig in Gesprächen auf, die man mit Unternehmen führt. Man wird damit umgehen müssen. Was aber nicht heißt, dass man nicht ein differenziertes Bild davon zeichnen kann, was sich dahinter verbirgt. Shitstorm ist ein Einstiegsbegriff mehr nicht.

In dieser Hinsicht finde ich eher die Äußerungen interessant, die sich mit den Auswirklungen von Shitstorms auseinandersetzen. Gerade im Fall Amazon war von einigen Seiten zu vernehmen, dass alles nicht so schlimm und der Effekt eines Shitstorms nur marginal sei. Als Unternehmen würde ich jetzt anfangen zu überlegen: Die Berater erzählen die ganze Zeit, wie wichtig das Engagement der Nutzer ist, und dass Likes und Interaktion entscheidende Kennziffern für einen Social Media Erfolg sind. Ein Shitstorm, der über ein paar Unmutsäußerungen hinausgeht, erreicht nun aber eine viel höhere Viralität und Interaktionsrate als die meisten normalen Statusupdates und Postings von Unternehmen. Wenn  so ein Shitstorm keinen Effekt hat, dann hat ja die „normale“ Kommunikation des Unternehmens in Social Media erst recht keinen Effekt.

Um es direkt zu sagen: Doch. Beides hat einen Effekt auf Umsatz und alle anderen strategischen Kommunikationsziele, die ein Unternehmen erreichen kann und will. Es gibt allerdings nicht den Shitstorm, sondern viele verschiedene Arten, die sich in ihren Ursachen, Wirkungen und ihrer Heftigkeit unterscheiden. So wie die Inuit Einhundert verschiedene Worte für Schnee haben, bräuchte man wahrscheinlich Einhundert verschiedene Worte, um einen Shitstorm treffend zu beschreiben. Im Prinzip muss jeder Shitstorm für sich betrachtet und analysiert werden.

Ich will jetzt nicht eine komplette Systematik erstellen, aber ganz grundsätzlich gelten für einen Shitstorm die gleichen „Gütekriterien“ wie für die reguläre Unternehmenskommunikation – ob Social Media oder klassisch. Dadurch kann man durch eine Shitstorm auch eine Menge für die reguläre Kommunikation lernen:

Qualität / Ursache

Ein Shitstorm kann viele verschiedene Ursachen haben. Entscheidend ist wie nah er am Unternehmen dran ist. Betrifft er direkt das Produkt oder die Produktionsweise des Unternehmens, ist er für das Unternehmen elementarer, als wenn dies nicht der Fall ist. Der Umkehrschluss ist einer der Standards in der Beratung: Taugt das Produkt nichts, dann kann man noch so gut kommunizieren, es wird nur einen geringen Effekt haben. Vergleicht man in dieser Hinsicht den Fall von Amazon mit dem der DiBa, dann zeigt sich der Unterschied. Bei der DiBa ging es um einen schrägen Werbespot, der Vegetarier und Tierschützer auf den Plan rief. Das Produkt war in keiner Weise betroffen, der Effekt war gering. Zumal das Unternehmen recht souverän mit der Situation umging. Anders der Fall von Amazon, bei dem direkt die Produktionsmethoden  am Pranger stehen. Natürlich wird man nie wirklich Zahlen erfahren und die Existenz von Amazon ist dadurch nicht bedroht. Doch die massiven Unmutsäußerungen gegen Amazon werden einen kurzfristigen Effekt auf den Umsatz gehabt haben und abgeschwächt vielleicht sogar längerfristig wirken.

Darüber hinaus lassen sich noch die unterschiedlichsten Ursachen finden, die mal mehr mal weniger nah am Unternehmen sind. Dumme Äußerungen von Mitarbeiter gegenüber den Kunden, eine verfehlte Unternehmenspolitik, zweifelhafte Zulieferer, meist sind es Fälle von Werteverletzungen, wie man in dieser Präsentation, die Tim Ebner im Rahmen einer Diplomarbeit erstellt hat und die bei pr//ip präsentiert wird, sehr schön sehen kann. Für die reguläre Kommunikation kann man daraus ableiten, dass es sich für Unternehmen durchaus lohnt, Werte zu setzen und zu besetzen. Der komplette Bereich der Corporate Social Responsibilty lebt unter anderem davon.

Kontinuität

Zusammen mit der Qualität ist Kontinuität das wichtigste Gütekriterium von Kommunikation. Und der größte Unterschied zwischen regulärer Kommunikation und Shitstorm. Zumindest sollte er das sein. Alle bekannten Shitstorms waren bislang nur temporäre, meist sogar nur sehr kurzfristige Erscheinungen. Von daher sind die Effekte auch nur temporär. Vergleichbar ist das mit einer zeitlich begrenzten Kampagne, der keine weitere Kommunikation nachfolgt. Der Effekt bleibt überschaubar und ebbt schnell wieder ab. Gerät ein Unternehmen allerdings immer wieder in Shitstorms, dann wird sich der Effekt, wie bei der positiven Kommunikation auch, langfristig potenzieren. In dieser Hinsicht muss man fairerweise sagen, dass die meisten Kommentatoren, für die ein Shitstorm keinen Einfluss hat, die zeitliche Begrenzung als Begründung hinzufügen.

Gute kontinuierliche Kommunikation hat aber noch eine weitere Wirkung. Sie gewährt einen gewissen Schutz vor Shitstorms und eröffnet Möglichkeiten der Reaktion darauf. Denn durch die kontinuierliche Kommunikation bauen Unternehmen eine Vertrauensbasis zu Kunden und Interessenten auf. Dadurch werden sie in Krisenzeiten eher bereit sein, dem Unternehmen zuzuhören und ihm zu glauben. Das ist nicht neu und aus der klassischen Pressearbeit schon lange bekannt. Leider wird es in der Diskussion um Shitstorms häufig vergessen.

 

Beteiligte / Influenzer / Themen

Sowohl im Positiven wie auch im Negativen ist natürlich auch entscheidend, welche gesellschaftlichen Gruppen ein Thema betrifft bzw. ob sie sich des Themas annehmen und dieses nach vorne treiben. Bei der regulären Kommunikation wird dabei häufig davon gesprochen, dass sogenannte Influenzer identifiziert werden müssen. Das Gleiche gilt für einen Shitstorm. Sind an der Welle der Entrüstung größere gesellschaftliche Gruppen wie Greenpeace im Fall von KitKat beteiligt, wird das natürlich einen größeren Effekt auf das Unternehmen haben, als wenn es sich nur um eine kleine begrenzte Gruppe handelt. Wobei Influencer und andere einflussreiche Personen sich nicht nur im Netz in der Regel rund um Themen gruppieren. In diesem Sinne sollte man gleichzeitig einen Blick darauf werfen, wie der gesellschaftliche Diskurs rund um das spezielle Thema bestellt ist. Unabhängig ob Shitstorm oder reguläre Kommunikation kann man daraus ableiten, ob ein Thema längerfristig oder nur kurzfristig trägt. Oder, schon im Vorfeld abklopfen, wo Risikopotentiale für das Unternehmen bestehen.

Soweit so gut zum Überblick. Das kann man jetzt noch bis in die kleinsten Verästelungen ausführen. Aber ich denke, man sollte Kommunikation immer individuell in ihrem situativen Kontext betrachten und analysieren.  Es gibt ein paar Basics, an denen man sich entlanghangeln kann, aber letztlich ist Kommunikation immer so komplex, dass es keine Standardverfahren gibt / geben kann. Von daher gibt es auch keine Patentlösung, ob man nun auf einen Shitstorm reagieren soll oder besser nicht und wie hoch der Effekt ist. Und ob man das nun Shitstorm, Unmutsäußerungen  oder einfach wie früher Kommunikationskrise nennt, ist einerlei. Wie gesagt, die Inuit haben Einhundert verschiedene Worte für Schnee.

Grafik via: 9GAG.com

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

%d Bloggern gefällt das: