Gesellschaft

Über den Tellerrand geschaut: Von Social Media, Schule und den digital Natives

Manchmal sollte man einfach mal über den Tellerrand schauen. Wenn man gewohnt ist viel über, auf,  mit und rund um Social Media zu diskutieren, dann geht der Blick schnell dafür verloren, wie die Nutzung außerhalb der bunten Social Media Welt aussieht. Zu klar liegen die Vorteile auf der Hand und zu sehr ist die Nutzung Alltag, als dass sie noch auffallen würde. Zudem wird man überschüttet mit Studien und Untersuchungen, die das schnelle Wachstum und die rasanten Fortschritte preisen. Da entsteht schnell der Eindruck, dass die digitale Revolution schon morgen abgeschlossen ist. Größter Hoffnungsträger sind dabei die so genannten digital Natives, die von klein auf mit dem Internet groß geworden sind und es wie selbstverständlich nutzen. Doch so langsam sickert durch, dass es vielleicht gar nicht so weit her ist mir den digital Natives und sie nur eine unbedeutende Minderheit sind.

So stellte auch Tim Krischak in seinem Blog Kommunikation 2.0 kürzlich fest, dass die Nutzung von Social Media zum Wissenserwerb bei Studenten doch sehr unterentwickelt ist. Aber wo soll es auch herkommen? Wissenserwerb und der Umgang mit Informationen, sprich Medienkompetenz, wird in erster Linie in der Schule gelehrt und gelernt. Nur müssten dafür die Lehrer in der Lage sein, dieses Wissen auch zu vermitteln. Das heißt, sie müssten selber kompetent im Umgang mit den neuen Medien sein. Leider sind sie dies, bis auf einige rühmliche Ausnahmen, nur allzu selten.

Facebook ist nicht für den Wissenserwerb
Sieht man sich dazu die Studie der digitalen Gesellschaft an, dann bekennen hier rund 67 Prozent der Befragten, dass sie unsicher im Umgang mit digitalen Medien sind. (Interessant ist auch die Kategorisierung der Internetnutzer, die ich für besser halte, da sie sich an der Nutzerkompetenz orientiert. Zentrales Merkmal des Begriffs digital Native ist hingegen das Alter. Dies hat aber überhaupt keine Aussagekraft, da es keinerlei Verbindung zum Kenntnisstand steht) Hinzu kommt ein speziell deutsches Phänomen. Nutzung von Social Media heißt in Deutschland vor allem eins: Facebook. Andere Plattformen wie Twitter, Xing oder Blogs führen hier noch ein Schattendasein. So liegt das Verhältnis von Facebook- zu Twitternutzern international bei 1:8 (800 Mio. Nutzer zu 100 Mio. Nutzer), das Verhältnis in Deutschland hingegen bei 1: 22,5 (22,5 Mio. Nutzer zu rund 1 Mio. Nutzer).

Dies ist im Zusammenhang mit Medienkompetenz und Wissenserwerb erwähnenswert, weil es zeigt, wie wenig Social Media in Deutschland zum Wissenserwerb genutzt werden. Facebook ist stark personenzentriert. Hier geht es in erster Linie um die Pflege des persönlichen Freundes- und Bekanntenkreises. Twitter und weit mehr noch Blogs sind in viel stärkerem Maße themenzentriert und damit Informationsnetzwerke. In diesem Sinne spiegelt sich hier wider, was auch Konsens in der lesenswerten Diskussion bei Tim Krischak ist. Die meisten  nutzen Facebook vor allem privat und nicht zum Wissenserwerb, finden sich aber sehr schnell zurecht, wenn sie grundlegende Techniken vermittelt bekommen, um das gesamte Potential von Social Media auszuschöpfen

In den Schulen fehlt die positive Auseinandersetzung mit Social Media
Bleibt also die Frage, was passiert aktuell in den Schulen? Und hier bin ich leider pessimistisch, dass sich schnell etwas ändert. Aus anderen Gründen habe ich in der letzten Zeit ein wenig zum Thema recherchiert. Um die positiven Ergebnisse vorweg zu stellen, es gibt bereits einige Pädagogen, die Social Media von Blogs bis Wikis in den Unterricht integrieren. Nur, es sind einige wenige. Wenn ich mir in dieser Hinsicht die Unterrichtsmaterialien und Fortbildungen zum Thema ansehe, dann dominiert hier vor allem eins: Angst. Das Gros der Materialien zielt auf die Themen Mobbing und Grooming ab. Um es zu unterstreichen: Das sind wichtige Themen, die auch in den Unterricht gehören. Sie sollten aber nicht ausschließlicher Inhalt der Beschäftigung mit den neuen Medien sein. Wenn in Unterrichtsmaterial unter dem Titel „Schein & Sein“ das Web 2.0 in einen Topf mit Reality TV und Casting Shows geworfen wird, dann wird mir Angst und Bange um die  Medienkompetenz der nachrückenden Genrationen.

Eine positive Auseinandersetzung, wie sich Social Media in den Unterricht integrieren lässt, findet sich neben einigen wenigen größeren Portalen wie hier und hier vor allem, wie soll es auch anders sein, in Blogs. Die Blogs „Widerspiegel“ und „EduShift“ habe ich als Beispiel mal herausgegriffen, weil sie auch eine sehr gute Blogroll haben, von der aus man weiter zu anderen Lehrerblogs kommt. Ein anderes sehr schönes Beispiel, auf das ich gestoßen bin, ist die Kaiserin Augusta Schule in Köln. Der Link hier führt zum Wiki der Schule. Das Wiki ist schon super – wenn auch noch ein bisschen leer – und vereinzelt finden sich auch ein paar Blogs zu Klassen und Unterrichtsfächern (vor allem unter Musik). Der Ansatz zeigt schon mal sehr schön, wohin die Reise gehen kann, wenn man Social Media in die Schule integriert. Weitere Beispiele kann man auf der Seite des Edu-Camps – auch Lehrer haben ihr Bar Camp – sowie in den TED-Talks zum Thema.

Initiativen von Praktikern

Aber nach meiner Einschätzung ist dies erst der Anfang. Es fehlen viel mehr solcher Beispiele wie die Kölner Initiative „netzofant“, die sich dem Thema von einer positiven Seite nähern. Unter dem Stichwort „Medienkompetenz für Pänz“ setzt Netzofant dabei schon in den Grundschulen an. Geschult werden die Kinder neben allgemeinen Grundlagen zum Internet und Social Web auch in anderen wichtigen Themen wie Internet und Sicherheit, Zeitgefühl sowie der Nutzung des Netzes als Wissensdatenbank. Wie ich finde eine gute Sache, in die vor allem Praktiker einbezogen sind, die wissen wovon sie reden.

Um das Thema abzuschließen. Schule wird sich öffnen und neue Lehr- und Lernformen zulassen müssen. Absolut lesenswert dazu diese beiden Artikel aus dem Blog Edushift hier und hier. Ansatzpunkte dazu gibt es genug. Was fehlt ist bislang vor allem die Schulung der Lehrer oder das verstärkte einbeziehen von Praktikern (Ich möchte hier nicht das böse Wort der Social Media Experten in den Mund nehmen ;-)). An dieser Stelle muss ich aber auch zugeben, dass ich zu wenig Einblick in die schulischen und schulpolitischen Strukturen habe, um mir ein Urteil zu erlauben, welche Wege hier möglich und machbar sind. Aber wenn ich alleine an Möglichkeiten wie den internationalen Austausch zwischen Schulen oder die gute, alte Schülerzeitung denke, die förmlich nach Blogs und anderen Social Media schreien, fallen mir gleich noch eine Reihe weiterer Projekte ein, wie man Social Media sinnvoll in den Unterricht und Schulalltag integrieren kann. Doch die Vermittlung der Möglichkeiten, die Social Media bieten, ist nicht nur ein Schulthema. Alle die in den sozialen Netzen unterwegs sind, sollten weniger von oben herab auf die „Internetausdrucker“ sehen und mehr erklären, was für feine Sachen man damit machen kann. Dazu noch ein sehr schöner Blogpost zu den Protesten rund um SOPA und PIPA: „We have to educate“.

 

4 Gedanken zu „Über den Tellerrand geschaut: Von Social Media, Schule und den digital Natives

  • Pingback: Blogposting 01/21/2012 « Nur mein Standpunkt

  • Hallo und vielen Dank für den informativen Beitrag!

    Ich betreue ein Berufsorientierungsprojekt, das Sportstadien dazu nutzt, Schülern die Berufewelt praktisch näherzubringen. Ich spreche jede Woche mit Schulen und Lehrern und die Rückmeldung ist zumindest bei uns in der Region relativ ähnlich:

    – Ab der zweiten Hälfte der 8. Klasse können die Schüler die Zahl der Schüler genau benennen, die in Ihrer Klasse KEINEM sozialen Netzwerk angehören.

    – Die Lehrer sehen es als Notwendigkeit an, die sozialen Medien im Rahmen des Medienkompetenzunterrichts aufzugreifen – es gibt jedoch regional keine Ressourcen, die dazu eingesetzt werden könnten.

    – Kompetenz könne hier nur vermitteln, wer die sozialen Medien auch aktiv nutze, so viele Lehrer. (Ist natürlich richtig) Die Lehrer können diese Kompetenz nicht vermitteln, sehen die Zugehörigkeit ihrer Schüler bei sozialen Netztwerken mittlerweile aber als gegeben an. Es müsse endlich reagiert werden, so die Lehrer, aber dazu bräuchten sie Hilfe.

    Ich habe in den letzten 2 Jahren kaum Lehrer kennengelernt, die sich komplett gegen den Einsatz dieser Medien stellen. Im Gegenteil, viele wollen, haben aber nicht genug Kenntnis und die Befürchtung, vor den Schülern einen zu großen Wissensrückstand preisgeben zu müssen…

    Seit einiger Zeit entwickle ich mit Schulen einen Workshoptag für Schulen, der in zwei Bereiche aufgeteilt sein wird: Der gewissenhafte Umgang mit persönlichen Daten in sozialen Netzwerken und die sinnvolle Nutzung sozialer Netzwerke abseits privater Interessen. Die „positive Auseinandersetzung“ steht hierbei im Vordergrund.

    Im Gymnasialbereich habe ich dort bereits Ansätze ausprobiert, zum Beispiel: squashwm.arena4you.de Dort habe ich mit 18 Schülern ein Medienprojekt zur SquashWM in Paderborn aufgezogen inklusive mobiler Redaktion beim Turnier, Marketingaktionen in der Innenstadt und Konzentration auf Facebook, Twitter und Blog.

    Insgesamt denke ich, dass in den kommenden Jahren zumindest auf Länderebene zwingend was passieren muss. Die Schulen werden derzeit mit diesem Thema allein gelassen und brüten kleinteilige regionale Lösungen aus, die bald zu einem merkwürdigen und meiner Meinung nach wenig sinnvollen Social-Media Flickenteppich führen werden, der einige Schüler bevorteilen und einige extrem benachteiligen wird.

    Antwort
    • Markus NeubertNo Gravatar

      Danke für den praxisnahen Bericht. Ähnliches erlebe ich in meinem Bekannten- und Freundeskreis, zu dem viele Lehrer der unterschiedlichsten Schulformen zählen. Schon alleine aus diesem Grund werde ich das Thema weiter im Auge behalten und hier ab und an über Erfahrungen berichten.

      Antwort
  • Pingback: Auf Tuchfühlung mit den “Digital Natives” – es gibt Nachholbedarf | Von Tim Krischak | Kommunikation – zweinull

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