Ausblick: Auf dem Weg in die digitale Revolution
Zum Jahresende mehren sich mal wieder die Ausblicke und Prognosen für die Social Media- und Technik-Trends in 2011. Ich mache mal meinen ganz eigenen Aus-, Rück- und Umblick. Denn gerade angesichts der allgemeinen Aufregung im letzten Jahr rund um Wikileaks, Google Streetview und den Jugendmedienstaatsvertrag (JMStV) zeichnet sich ab, dass derzeit viel mehr passiert als technische Trends und neue Plattformen. Wenn man den Blick etwas umfassender auf die Geschehnisse wirft, dann ist es keine steile These, zu behaupten, dass sich gerade ein gesellschaftlicher Wandel vollzieht, welcher der industriellen Revolution nahekommt. Die Begriffe digitale Revolution und Informationszeitalter, als das dritte nach dem Agrar- und dem Industriezeitalter, sind zumindest schon einmal in der Welt. Allerdings sind sie bei weitem noch nicht umfassend mit Inhalten gefüllt. Wie auch? Wir befinden uns ja mitten drin und wohin die Reise geht, kann wohl niemand mit Gewissheit sagen. Doch wenn man beginnt die Hinweise aus den unterschiedlichsten Bereichen zusammenzupuzzeln, dann wird zumindest schemenhaft ein Bild deutlich.
Wikileaks und Internetsperren sind nur Symptome
Wikileaks, JMStV oder Internetsperren sind nur Symptome dieser aktuellen Entwicklung. Gesetzte werden in der Regel nur verändert, wenn sich vorher die gesellschaftlichen Zusammenhänge verändern. Speziell die Hilflosigkeit und gleichzeitig Vehemenz mit der die US-Regierung im Fall Wikileaks reagiert, ist ein Zeichen dafür, dass hier alte Macht- und Herrschaftsansprüche aufbrechen. Social Media ist in dieser Hinsicht, die Dampfmaschine der digitalen Revolution. Vergleicht man nur einmal, wie sich die Reaktionen auf die Entwicklung von Eisenbahn und Social Media gleichen, wird deutlich, wie nah digitale und industrielle Revolution beieinanderliegen. In einem Königlich Bayrischen Expertengutachten zur Eisenbahn von 1835 (PDF) heißt es :
„Ortsveränderungen mittels irgendeiner Art von Dampfmaschine sollten im Interesse der öffentlichen Gesundheit verboten sein. Die raschen Bewegungen können nicht verfehlen, bei den Passagieren die geistige Unruhe, ‚delirium furiosum‘ genannt, hervorzurufen. Selbst zugegeben, dass Reisende sich freiwillig der Gefahr aussetzen, muss der Staat wenigstens die Zuschauer beschützen, denn der Anblick einer Lokomotive, die in voller Schnelligkeit dahinrast, genügt, um diese schreckliche Krankheit zu erzeugen. Es ist daher unumgänglich nötig, dass eine Schranke, wenigstens sechs Fuß hoch, auf beiden Seiten der Bahn errichtet werde.“
Im Vergleich dazu aus der Studie „Medienflut fördert Kontaktarmut“ der Stiftung Zukunftsfragen von Anfang 2010
Die „kaum mehr überschaubare Medienflut“ produziert Infostress: „Man fühlt sich förmlich überrollt“ meint mittlerweile eine knappe Mehrheit der Bevölkerung (1998: 40% – 2010: 51%). Und Internet, das Netz der Netze, ist inzwischen zur größten persönlichen Enttäuschung der Deutschen geworden. Eine deutliche Mehrheit der Bundesbürger ist zu der Überzeugung gelangt: „Die mitmenschlichen Kontakte werden dadurch seltener. Die Vereinsamung nimmt eher zu“ (1998: 41% – 2010: 59%)
Und etwas weiter unten:
„Die kulturkritische Befürchtung, wonach wir es in Zukunft mit einer reizüberfluteten Generation zu tun haben, die im Alltag zunehmend nervöser und aggressiver reagiert, kann Wirklichkeit werden“, so Prof. Dr. Opaschowski, der Leiter der Stiftung. „Hyperaktivität und Konzentrationsmangel können die Folge sein, weil die junge Mediengeneration permanent mit schnellen Schnitten sowie abrupten Szenen- und Situationswechseln aufwächst.“
Die Art wie wir Arbeiten wandelt sich
Zugegeben, das Beispiel ist ebenso amüsant wie plakativ. Doch die Analogie ist insofern treffend, als dass hinter der wissenschaftlichen Fassade nicht nur Unkenntnis, sondern auch die Angst vor der Veränderung hervorlugt. Denn ähnlich wie die Eisenbahn die Welt näher zusammengerückt hat, rückt heute Social Media und die Möglichkeiten, Online in Echtzeit zu kommunizieren, die Welt näher zusammen. Dadurch verändert sich nicht nur die Kommunikation, sondern auch die Gesellschaft, in der wir leben. So ist schon heute erkennbar, dass sich in vielen Bereichen zukünftig die Tendenz hin zu neuen Arbeitsformen verstärken wird. Wahrscheinlich wird dabei auch die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit immer stärker verwischen. Interessanterweise gilt die Trennung zwischen Arbeit und Freizeit als eines der Kennzeichen, das die Industriegesellschaft von der Agrargesellschaft abgrenzt. Gleichzeitig mit den Orts- und Zeitbarrieren fallen auch Sprachbarrieren. Noch sind Übersetzungsdienste wie Googles Translate fehlerhaft, machen aber rasante Fortschritte. Weitergedacht bedeutet dies, dass sich die Arbeit von länderübergreifenden Teams immer mehr erleichtert. In dieser Hinsicht kann man vermuten, dass sich die strikte Organisation innerhalb des Gebildes Unternehmen drastisch verändern wird. Damit verändert sich dann auch die Art in der wir Zusammenleben (PWC Studie / PDF), denn von der Arbeit ist abhängig, wann und wie wir uns mit Freunden treffen und unser Familienleben strukturieren.
Die Art wie wir Wissen und Informationen organisieren ändert sich
Zudem zeichnet sich heute schon mit Wikipedia und anderen Seiten mehr als nur eine Tendenz ab, dass Wissen zunehmend kolaborativ erzeugt und gespeichert wird. Crowdsorcing heißt eines der Schlagworte und die dahinterstehende Entwicklung beginnt sich gerade erst zu formieren. Dabei bleibt dies nicht nur auf Bereich der „Allgemeinbildung“ beschränkt. Wissensmanagement in Unternehmen und Sozialen Einrichtungen ist ebenso ein Thema wie der Open Access Gedanke in die Wissenschaft Einzug hält. Wie das langfristig unsere Gesellschaft verändern wird, ist allerdings ebenso ungewiss wie bei der Arbeitsorganisation. Gewiss ist nur, dass es die Gesellschaft verändern wird. Denn die Organisation der Arbeit und die Organisation und die Verteilung von Wissen und Informationen sind fundamentale Säulen, an denen sich unserer Gesellschaft ausrichtet. Damit ist man auch schon ganz schnell bei Wikileaks und der Art wie Informationen in der Gesellschaft verarbeitet werden. Bislang war dies den klassischen Medien vorbehalten, Mit Social Media etabliert sich nun aber ein weiteres Medium, durch das alle jederzeit Zugang zu Informationen erhalten. Dabei formieren sich politische Meinungsbildungsprozesse neu und unabhängig von der Interpretation des Journalismus. Zuletzt geschehen bei den geplanten Internetsperren, bei Stuttgart21 und beim JMStV. Überhaupt wird es spannend wie sich der politische Prozess der Meinungsbildung durch Social Media verändert. Im Zuge der industriellen Revolution wurde im Übrigen das allgemeine Wahlrecht eingeführt.
Neue Gesellschaftsutopien werden entstehen
Wie sich Gesellschaft in dieser Hinsicht verändert, wird unter anderem davon abhängen, welche gesellschaftlichen Utopien entstehen. Marxismus und Liberalismus sind Mitte des 19 Jahrhunderts nicht aus dem Nichts entstanden. Sie fußen in Ideen und politischen Strömungen, die sich erst allmählich im Zuge der zunehmenden Technisierung und den damit zusammenhängenden gesellschaftlichen Verwerfungen entwickelt haben. Ähnliche Ansätze sind auch heute zu erkennen. Das legendäre Cluetrain Manifest ist mit seinen ökonomisch orientierten Aussagen eine Analogie zu den Thesen von Adam Smith und John Stuart Mill. Andere Ansätze, wie die im Vergleich zum Cluetrain Manifest radikalere Hacker-Ethik, schaffen ebenfalls Grundlagen, aus denen langfristig Gesellschaftsutopien entstehen können. Zu erwarten ist, dass hier eine neue Diskussionslinie entsteht, an der sich diesmal nicht nur einige wenige sondern viele Beteiligen werden.
Ausblick
In welche Richtung der soziale Wandel wird sich an den Weichenstellungen in naher Zukunft entscheiden. Zentrale Themen sind hier mit Sicherheit die Debatte um die Netzneutralität, die aktuell noch einmal durch eine Entscheidung der US-Regulierungskommission FCC neuen Vorschub bekommen hat, ebenso wie die dringend anstehende Neuregelung von Datenschutz- und Persönlichkeits- und Urheberrechten. Alles Debatten die abseits des Netzes eigentlich noch gar nicht richtig gestartet sind und denen es an Modellen fehlt, die eine Diskussion erst möglich machen. Oder wie es der immer gern gelesene Christoph Kappes von Carta es formuliert: