Social Media – Die digitale Provinz ist noch groß
Social Media ist wie das Berlin der 20er Jahre. Der Zeitgeist pulsiert hier so schnell wie sonst nirgends und reißt alles mit sich mit. Kunst vermischt sich mit Politik, neue Ideen werden geboren, Zukunftsprognosen entworfen und alles genauso schnell wieder verworfen. Überall herrscht kreatives Durcheinander und Partystimmung. Doch es gibt noch eine große digitale Provinz in Deutschland und es wird noch dauern, bis die schönen neue Welt der Social Media dort angekommen ist.
Mehrfach rauschten in den letzten Tagen die Zahlen der Cologne Business School Untersuchung noch einmal durch meine Twitter-Timeline. Nach der Untersuchung planen 51 Prozent der Unternehmen keinen Social Media Einsatz und 25 Prozent sehen es in der IT-Abteilung angesiedelt. Auslöser war wohl ein Artikel auf CIO. Was mich an Artikel, wie auch an den kommentierenden Tweets irritierte, ist die Verwunderung bis hin zu leichter Häme über das mangelnde Wissen und die geringe Akzeptanz von Social Media in den Unternehmen. Der CIO Artikel spricht unter anderem von „niederschmetternden Ergebnissen“. Für alle, die viel und häufig im Netz unterwegs sind, mag die Einstellung der Unternehmen ja verwunderlich oder gar niederschmetternd sein. Auch mir ging es anfangs so. Die Argumente pro Social Media in der Unternehmenskommunikation sind ja mehr als überzeugend und die rasante Entwicklung von Nutzerzahlen ungebremst. Das kann man doch jeden Tag in seiner Twitter-Timeline, in den entsprechenden Blogs und auf Facebook lesen. Lehnt man sich aber zurück und drückt den eigenen Erfahrungshorizont mal ein wenig beiseite, wird einem schnell klar, dass die digitale Provinz schon da beginnt, wo man den eigenen Rechner ausschaltet.
Nicht, dass ein falscher Eindruck entsteht. Provinz meine ich in diesem Fall nicht negativ, sondern ohne Wertung im Sinne von „anders“. Denn die meisten der befragten Geschäftsführer gehören einer Generation an, die nicht mit Computern und Internet groß geworden ist. Zudem sind die Zeitbudgets der meisten Geschäftsführer ebenso schmal wie die Marketing-Budgets. So ist weder die Zeit dafür da, sich mit dem Thema Social Media auseinanderzusetzen, noch eine professionelle Beratung, die dem Unternehmen das Thema näher bringen könnte. Gerade im Kontakt mit mittelständischen Unternehmen stelle ich dabei immer wieder fest, dass das Thema PR und Kommunikation im Allgemeinen unterschätzt wird. Schon eine professionelle Pressearbeit, die ab einer gewissen Unternehmensgröße zum Standard gehören sollte, fehlt noch bei vielen Mittelständlern oder wird, überspitzt formuliert, von der Sekretärin nebenher erledigt. Häufig steckt dahinter, ebenso wie bei der ablehnende Haltung gegenüber Social Media, Unkenntnis oder Angst etwas Falsches zu sagen. Bedenkt man dabei, wie lange der Überzeugungsprozess für eine professionelle Pressarbeit schon andauert, dann hat man beim neuen Thema Social Media noch nicht einmal den ersten Schritt vollendet. Zumal aktuell immer noch über 60 Prozent der PR-Agenturen Twitter für unwichtig in der Unternehmenskommunikation halten. Dennoch stelle ich in vielen Gesprächen mit Unternehmen ein großes Interesse an den Möglichkeiten des Web 2.0 für die Unternehmenskommunikation fest. Doch ähnlich wie bei der Pressearbeit auch scheint der Hinweis darauf, dass Onlinereputation und Imageaufbau das Ergebnis eines kontinuierlichen, langfristigen Prozesses ist, das Interesse schnell wieder abzukühlen.
Auch wenn man es selber im Strom der Social Media Informationsflut nicht wahrnimmt, weil sie schon längst Teil des eigenen Alltags geworden ist, die digitale Provinz ist größer, als man denkt. Letztlich sind wir noch immer am Anfang der Überzeugungsarbeit, dass durch Social Media eine zusätzliche Kommunikationsnotwendigkeit für Unternehmen entstanden ist. Wie ich es irgendwann einmal in meiner Timeline las, werden wahrscheinlich die Unternehmen die ersten sein, die schlechte Erfahrungen gemacht haben. Die Gespräche in der letzten Zeit weisen darauf hin, dass in diesem Satz viel Wahrheit steckt.