Social Media und die Mär vom Kontrollverlust
Immer mal wieder taucht in Untersuchungen und Studien auf, dass „Angst vor Kontrollverlust“ ein Hemmschuh für den Start in Social Media ist. Ich frage mich dann immer, welche Kontrolle und welcher Verlust? Zumal aus den Fragestellungen nie genau hervorgeht, was mit Kontrollverlust gemeint ist: Die Kontrolle der „offiziellen Statements“, die aus einem Unternehmen herausgehen, die Kontrolle der „öffentlichen Meinung“ über das Unternehmen oder die Kontrolle der Mitarbeiter? Ich vermute, dahinter steckt eher ein Unbehagen vor dem Neuen und ein falsches Verständnis von Kommunikation im Allgemeinen und von Social Media im Besonderen. Kontrolle hatten Unternehmen bislang auch nur bedingt. Jahrzehntelang wurden sie darauf getrimmt, dass sie eine Corporate Identity haben müssen, um als Marke wahrgenommen zu werden. Corporate Identity wird dabei aber fast immer mit Corporate Design beim grafischen Erscheinungsbild und Claim im Bereich der klassischen Werbung gleichgesetzt. Das kann man dann auch prima kontrollieren. Eine Marke bildet sich aber nicht nur durch ein Logo und einen schicken Claim, der möglichst oft wiederholt wird, sondern auf vielen verschiedenen Kommunikationsebenen.
Kommunikation, Marke und die Kontrolle
Marke findet in den Köpfen der Menschen statt. In diesem Sinne bildet sich die Marke da am stärksten aus, wo Menschen sie direkt erleben, das heißt, beim Einkauf, bei der Beratung oder bei der Nutzung von Produkten und Dienstleitungen. Aufgabe der Kommunikation ist es, dieses Erleben der Marke vorzubereiten bzw. diesem einen Rahmen zu geben. Menschen wollen wissen, mit wem sie es zu tun haben und wollen das „gute Gefühl“ haben, etwas besonderes gekauft zu haben. Kommunikation fördert hier die Kaufentscheidung, in dem sie Vertrauen schafft. Der vollständig kontrollierbare Teil der Kommunikation beschränkt sich dabei allerdings für die Unternehmen auf die Medien, die sie selber publizieren wie Anzeigen, Broschüren oder Pressematerialien. Doch schon bei den Informationen für Journalisten sind der Kontrolle Grenzen gesetzt. Der Journalist entscheidet alleine, ob er weitere Quellen hinzuzieht und wie er ein Thema verarbeitet. Ebenso können die Mitarbeiter im Kundenkontakt zwar geschult werden, danach ist eine Kontrolle aber nur noch bedingt möglich. Gänzlich endet die Kontrolle der Mitarbeiter da, wo sie in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis über das Unternehmen reden. Das Markenbild wird aber auch durch diese Mund-zu-Mund-Propaganda geprägt. Nur bislang bekamen die Unternehmen davon nichts mit.
Kontrollgewinn durch Social Media
Bei Lichte betrachtet gewinnen Unternehmen durch den Einsatz von Social Media in der Unternehmenskommunikation an Kontrolle. Denn ähnlich wie bei Anzeigen und Broschüren bestimmen sie hier selber die Inhalte. Damit können sie auch selber das Bild beeinflussen, das sie in der Wahrnehmung der Kunden abgeben. Was Unternehmen nicht mehr kontrollieren können, sind die Reaktionen auf ihre Inhalte. Doch dieser scheinbare Kontrollverlust ist eigentlich mehr positive Chance als negativer Verlust. Schon durch die Kommunikation mit den Kunden nimmt das Social Media Engagement eine ähnliche Stellung ein wie ein Verkaufsgespräch, also das direkte Erleben der Marke und prägt diese damit wesentlich stärker als eine Anzeige. (Hier mal ein sehr schönes Beispiel) Gleichzeitig bekommen Unternehmen so die Chance, zu lernen, was den Kunden wichtig ist und wo sie ihre Leistungen verbessern können. Kontrollverlust droht nur bei einer Fassaden aus Werbesprüchen wie hier bei Nimm2, die nun für den „Windbeutel des Jahres“ nominiert sind. Ebenso wenig droht ein Kontrollverlust durch die Meinungsäußerung der Kunden in Social Media. Platt gesagt, im negativen Fall ist der Kontrollverlust schon da, denn der Kunde wird seine Meinung äußern, ob das Unternehmen selber in Social Media aktiv ist oder nicht. Die Kontrolle verlieren hier eher die Unternehmen, die sich Social Media verweigern, denn sie haben keine Chance auf den Kunden einzugehen.
Konsistentes Markenbild und Kontrolle
In Zukunft wird es für Unternehmen, egal ob KMU oder großer Konzern, damit auch viel entscheidender sein, ihr gesamtes Handeln an der Marke auszurichten. Denn bei aller Angst vor dem Kontrollverlust wird übersehen, dass Kommunikation in Social Media nicht losgelöst in einem luftleeren Raum stattfindet. Kommunikation in Social Media hat immer eine Entsprechung in dem, was Kunden, Interessenten und Mitarbeiter mit dem Unternehmen erleben bzw. wie sie das Unternehmen erleben. In diesem Sinne wird es immer wichtiger, dass sich ein Markenbild durch Konsistenz auf allen Ebenen auszeichnet. Wer sich „familienfreundlich“ auf die Fahnen schreibt, muss dies auch für die eigenen Mitarbeiter umsetzen. Ansonsten riskiert er, dass dieser Bruch in Social Media thematisiert wird. Denn Social Media haben die Kommunikation rund um die Unternehmen intensiviert. Zunehmend finden sich nicht nur Informationen zu Produkten, sondern auch Informationen zu der Art und Weise wie ein Unternehmen produziert. Dies betrifft auch kleine lokale Unternehmen, die bislang wenig Beachtung in den „großen“ Medien fanden. Doch auch hier gilt, wenn ein Unternehmen an diesen Punkten arbeitet, oder bereits ein konsistentes Markenbild hat, dann sind Social Media eine Chance. Denn in Social Media lassen sich auch diese kleinen Geschichten rund um das Unternehmen darstellen und so das Markenimage abrunden. Ein Kontrollverlust droht nur dann, wenn Kunden und Interessenten nicht darüber informiert sind, was, wie und warum ein Unternehmen handelt. Das beste Mittel gegen Spekulationen, Gerüchte und unhaltbare Anschuldigungen ist immer noch Transparenz.
Zum Abschluss, Unternehmen verlieren durch den Einsatz von Social Media nicht an Kontrolle, sondern im Gegenteil, sie gewinnen an Kontrolle. Social Media wirken in dieser Hinsicht sogar präventiv, denn wer hier bereits einen aktiven Dialog mit seinen Kunden hergestellt hat, erreicht diese auch in der Krise und kann seine Sicht der Dinge darstellen. Wer bislang nicht aktiv war, dem bleibt nur die Zuschauerrolle.
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