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Denkanstoß – Die Struktur der Social Media Ablehnung

Totterturm_Social_Media_InternetIch habe mal eine kleine qualitative Studie gemacht. Warum Social Media in Deutschland, anders als in anderen Ländern, eine viel stärkere Ablehnung erfahren, beschäftigt mich schon länger. Ende letzten Jahres veröffentlichte dann der WirtschaftsWoche Journalist Michael Kroker in seinem Blog einen internationalen Vergleich der Social-Media-Nutzung. Nach der Studie werden Social Media in Deutschland weit weniger genutzt, als in anderen Industrienationen. Genau genommen liegt Deutschland abgeschlagen zwischen Tunesien und Mexiko. Soweit keine Überraschung, diese und ähnliche Zahlen sind schon länger bekannt.

Eine kleine Überraschung waren für mich allerdings die Kommentare unter dem Blogpost. Fast alle Leser stießen sich an der Schlussfolgerung, dass Deutschland ein Entwicklungsland bei den sozialen Netzwerken und technologie-skeptisch ist. Unterstützende Kommentare pro Social Media gab es kaum. In der Folge offenbarten die Kommentatoren vor allem, warum sie Social Media ablehnen bzw. ihnen sehr skeptisch gegenüberstehen. Eine gute Gelegenheit, denn so konzentriert habe ich die Argumente selten gesehen.

Vorgehen

Sicherlich kann man jetzt sagen, das ist doch alles nicht repräsentativ. Ich finde schon, denn es kommen alle Argumente, die einem in Diskussionen immer wieder begegnen, vor und sie werden in den meisten Fällen begründet. Insgesamt zählt der Blogpost 63 Kommentare von 47 verschiedenen Kommentatoren. Gut 50 Kommentare davon sind verwendbar. Ausgeschlossen habe ich die Kommentare, die sich nur mit der Studie beschäftigten sowie polemische Äußerungen wie „Setzen 6, Kroker“ und damit keine Hinweise auf die Meinung des Kommentators lieferten.

Da ich eine qualitative Analyse machen wollte, bin ich in Anlehnung an Anselm Strauss Grounded Theorie vorgegangen. Das heißt, ich bin nicht mit einer festen These herangegangen, sondern habe aus dem Datenmaterial heraus gearbeitet.  Grob gesagt, werden die Beiträge der einzelnen Kommentatoren dabei analysiert, zerlegt und in Kategorien zusammengefasst. Diese Kategorien werden dann wieder untereinander in Beziehung gesetzt. Dadurch wird die Struktur der Ablehnung sehr gut deutlich und lässt weitere Schlussfolgerungen zu. Ein weiterer Vorteil dieses Vorgehens ist, dass die Polemik der meisten Beiträge gefiltert werden kann.

Noch eine kleine Vorbemerkung

Als Vorbemerkung sei noch gesagt, dass bei den meisten Beiträgen Social Media früher oder später mit Facebook und in einigen wenigen Fällen mit Xing gleichgesetzt werden. Dass Social Media weit mehr sind, scheint den Kommentatoren aber bewusst zu sein. Allerdings bezieht sich ihre ablehnende Haltung in erster Linie auf Facebook. Da Facebook hierzulande das stärkste soziale Netzwerk ist, ist dies auch nicht weiter verwunderlich.

Grundsätzlich lassen sich die Kommentatoren in zwei verschiedene Gruppen einteilen. Die eine Gruppe hat Social Media bereits genutzt bzw. nutzt es zum Teil noch, die andere Gruppe lehnt Social Media aus grundsätzlichen Überlegungen ab. Interessanterweise verfolgt jeder der beiden Gruppen eine unterschiedliche Argumentationsstrategie.

 Personen mit technischem Hintergrund

Die Personen, die Social Media grundsätzlich ablehnen, haben in der Regel einen IT-Hintergrund oder verweisen auf Menschen, die diesen haben. So betonen die Kommentatoren, dass sie im IT-Bereich oder der Softwareentwicklung arbeiten, System Administratoren sind, Freunde haben, die in der IT arbeiten oder gleich auf den Chaos Computer Club, die auch alle Facebook ablehnen würden. Ihre Argumentation ist stark von Datenschutzbedenken und die Sorge um das freie Internet geprägt.

Die durchaus berechtigte Datenschutzdebatte möchte ich an dieser Stelle gar nicht führen. Sie steht auch in der Argumentation der Skeptiker ebenso wie die Sorge um das freie Internet relativ losgelöst von den anderen Argumenten. Einen leichte Verbindung weißt sie zu der weiter unten noch aufgeführten Kategorie „Wert der Privatsphäre“ auf. Grundlegend steht hinter der Datenschutz-Argumentation, die Angst zum „gläsernen Menschen“ zu werden und die Kontrolle über die eignen Daten zu verlieren. Damit geht das Unbehagen einher, dass die eigenen Daten durch Unternehmen kapitalisiert werden. Die persönlichen Daten sind in dieser Sichtweise untrennbar mit der Persönlichkeit verbunden. Damit schließt sich eine Nutzung von Social Media für diese Gruppe quasi aus.

Personen mit Social Media Erfahrung

Eine andere Argumentationsstrategie verfolgen die Personen, die Social Media bereits genutzt haben oder noch nutzen. Sie heben sehr stark auf den hohen Zeitaufwand und den fehlenden Nutzen/Sinn von Social Media ab. Im Zuge dessen qualifizieren sie die Nutzer von Social Media implizit und explizit häufig ab. Für die weitere Betrachtung ist diese Gruppe wesentlich ergiebiger. Ihre Argumentationsstrategie ist sehr stark von Dualismen geprägt. So wird der Zeit-Nutzen-Faktor häufig verbunden mit der Unterscheidung von beruflicher und privater Nutzung oder der Unterscheidung von realen und virtuellen Freunden. Interessant auch, dass viele in dieser Gruppe davon berichten, dass Facebook sie nach anfänglichem Interesse zunehmend, langweilte bzw. der Nutzen für sie abnahm.

Prägender Dualismus

Berufliche Nutzung vs. Private Nutzung

Dass Social Media in der beruflichen Nutzung durchaus Vorteile bringen kann, wird von den Kommentatoren nicht in Abrede gestellt – hier greift ihr grundlegendes Zeit-Nutzen-Schema. Einige geben an, dass sie über einen XING-Account verfügen, weil man den eben in ihrem Beruf benötigt. Meist wird die berufliche Nutzung über XING hinaus aber der Medienbranche zugerechnet. Von daher gehen die Kommentatoren vor allem auf die private Nutzung von Facebook ein. Und diese ist für sie durchweg negativ behaftet. Gestützt wird ihre Argumentation hier vor allem durch die Unterscheidung in echte Freunde und virtuelle Freunde sowie in gute Informationen und schlechte Informationen.

Echte Freunde vs. Virtuelle Freunde

Die Argumentation dürfte allen, die sich mit Social Media beschäftigen hinlänglich bekannt sein: Man habe genügend echte Freunde, der Kontakt von Mensch zu Mensch sei besser etc. Dahinter steckt die Teilung der Welt in „echt/real“ auf der einen Seite und „virtuell“ auf der andern Seite. Die virtuelle Welt wird dabei weitestgehend als Scheinwelt betrachtet. Die Menschen, die man dort trifft, sind in dieser Argumentation andere Menschen, als die die man im „realen“ Leben trifft. In dieser Hinsicht wird dadurch der Zeit-Nutzen-Faktor wieder bestätigt. Man hat keine Zeit sich auch noch um ein paar virtuelle „falsche“ Freunde zu kümmern, lieber trifft man sich mit seinen echten Freunden. Der Sinn hinter sozialen Netzwerken lässt sich auf dieser Basis zwangsläufig nicht erkennen. Die Trennung zwischen real und virtuell wird dabei auch auf die Art der Informationen bezogen.

Gute vs. Schlechte Informationen

Interessanterweise wird der Wert der Informationen, die man über soziale Netzwerke erhält, in der Argumentation meist von Personen getrennt. So wird entweder nur über den Wert von echten Freunden vs. Virtuellen Freunden gesprochen oder nur über die nichtigen Informationen, die in sozialen Netzwerken ausgetauscht werden. In der Diskussion steht dieser Argumentationsstrang scheinbar alleine da, losgelöst von den Menschen, die die Informationen liefern. Insgesamt werden die Informationen als belanglos empfunden. Babyfotos und persönliche Befindlichkeiten interessieren nicht, so der einhellige Tenor. Da in direkten Gesprächen meist ähnliche Informationen ausgetauscht werden, scheinen Facebook und andere Netzwerke für diese Gruppe nicht der Kommunikationsraum zu sein, in dem diese Informationen ausgetauscht werden sollten. Das wird noch einmal deutlicher im nächsten Dualismus.

Privatheit vs. Virtuelle Öffentlichkeit

Nicht überraschend gilt für diese Gruppe das Teilen von Informationen in sozialen Netzwerken als Selbstoffenbarung. Im Kontrast dazu hält sie den Wert der Privatheit hoch. Privatheit ist dabei nicht mit dem Thema Datenschutz verbunden. Das Herausgeben von persönlichen Informationen außerhalb der Privatheit wird negativ im Sinne von „öffentlich die Hose runterlassen“ oder Selbstdarstellung besetzt.

Schlussfolgerungen

Für mich war es schon vorher klar, dass die Ablehnung respektive die Skepsis gegenüber Social Media in Deutschland kulturell bedingt sein muss. Technikfeindlichkeit alleine konnte es nicht sein. Die Erklärungen, die mir bislang dazu begegnet sind, fand ich allerdings wenig zufriedenstellend. Zumeist bezogen sie sich auf die jüngere deutsche Vergangenheit und dem Unbehagen gegenüber öffentlichen Institutionen und Unternehmen. Dieser Schlussfolgerung kommt aber allenfalls im Rahmen der Datenschutzdebatte Bedeutung zu. So war es für mich eine Überraschung, dass vor allem die Gruppe mit einem stark IT geprägten Hintergrund war, die die Datenschutzdebatte führt. Social Media werden hier vor einem technischen und weniger vor einem  kommunikativen Hintergrund gesehen. Das Wissen um die technischen Möglichkeiten scheint mir einen ebenso großen, wenn nicht größeren, Einfluss zu haben, als kulturelle Aspekte.

Viel größer erscheint mir der Einfluss kultureller Aspekte bei der zweiten Gruppe. Die Bewertung von Social Media sind hier geprägt durch gesellschaftliche Konventionen, was man in der Öffentlichkeit sagt und was man nicht sagt. Ebenso scheint hier das sehr stark kulturell geprägt Bild der Privatheit eine große Rolle zu spielen. Ich weiß nicht, ob es schon Untersuchung dazu gibt, welche die Privatheit, mit der Fähigkeit Smaltalk zu halten, in Verbindung bringen. Hier könnte ein Ansatzpunkt für eine Erklärung sein. Interessant wäre hier zudem eine Studie, ob bei Social Media Enthusiasten eine andere Definition von Privatheit vorliegt.

Ebenso würde es mich interessieren, ob im interkulturellen Vergleich die Trennung zwischen „real“ und „virtuell“ ebenso ausgeprägt ist wie hierzulande. Dies scheint mir ein weiterer Schlüssel zur Ablehnung von Social Media zu. In Deutschland fußt das Denken sehr stark in der hegelianischen Dialektik. Ich denke, dass man so einen Teil der Dualismen in der Argumentation der Kommentatoren erklären kann. Real ist hier draußen und das da in dem Internet ist nicht hier draußen. Also muss es etwas anderes sein und das ist nicht echt. Fließende Übergänge und Zusammenhänge zwischen beidem lassen sich auf diese Weise nicht denken.

Fazit

Die Ablehnung von Social Media lassen sich nicht mit mangelnder Offenheit bzw. bloßem Unverständnis – viele der Kommentatoren haben es ja versucht – oder Technikskepsis – viele Kommentatoren mit IT-Hintergrund – erklären. Ich denke, die Ablehnung hat viel tiefere, kulturelle Wurzeln. Von daher wird sich auch langfristig an der Situation nichts ändern, dass in Deutschland Social Media weit weniger genutzt werden, als in anderen Ländern.

2 Gedanken zu „Denkanstoß – Die Struktur der Social Media Ablehnung

  • GabiNo Gravatar

    Finde es gut, dass du dur die Mühe gemacht hast, die Nutzergruppen zu analysieren. Fand den Beitrag spannend und nicht dumm. Deine Anregungen die Vorbehalte bzw. die kulturellen Hintergründe weiter zu beleuchten und zu analysieren werden hoffentlich fruchten.
    Sicherleich gibt es auch einen Unterschied zw. „älteren“ und „jüngeren“ SM-Nutzern, da die Digital Natives nicht oder weniger zwischen privat und öffentlich zu unterscheiden wissen und sie weitaus weniger Vorbehalte haben.
    Ich rechne mich übrigens der Gruppe 2 zu: Nutze SM, finde Facebook aber zunehmend langweilig und zeitfressend, bin 40.

    Antwort
    • Markus NeubertNo Gravatar

      Hallo Gabi,

      urlaubsbedingt eine etwas verspätete Antwort.
      Ja, es wäre schön, wenn das Thema der Social Media Ablehnung etwas besser (wissenschaftlicher) beleuchtet wird. Zur Zeit, finde ich, wird die Diskkusion von beiden Seiten einfach zu emotional geführt und besteht größtenteils aus Vorurteilen.

      Antwort

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