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Kontrolle, Kontrollverlust und Corporate Identity

54,9 Prozent der Kommunikationsverantwortlichen in Unternehmen und Behörden scheuen den Einsatz von Social Media aus Angst vor Kontrollverlust. Eine Zahl aus der Social Media Governance Studie 2011, die in dieser Höhe vielleicht überrascht. Bleibt die Frage, was denn nun hinter dieser Angst vor dem Kontrollverlust steckt? Zumal der Terminus „Kontrollverlust“ nicht weiter definiert wird. Dadurch bleibt die Angst vor dem Kontrollverlust erst einmal so diffus wie die Angst vor der Dunkelheit. Eigentlich weiß man nicht so genau, wo vor man Angst hat. Kontrolle kann man aber nur dort verlieren, wo man sie (vermeintlich) hat. Und schaut man sich in dieser Hinsicht die Art an, wie in vielen Unternehmen Kommunikation organisiert ist, dann stößt man schnell auf einen umfassenden Kontroll-und Freigabeprozess für alle Text-, Ton und Bilddokumente. Erst wenn alles bis zum letzten i-Punkt der Corporate Identity entspricht, erfolgt die Freigabe.

Dahinter verbirgt sich aber nicht selten ein falsches Verständnis von Corporate Identity. Corporate Identity wird dabei auf den Claim und das Corporate Design reduziert. Wer schon einmal eine Presseinformation abgestimmt hat, der weiß, wie sehr Unternehmen schon im Sinne einer falsch verstandenen Corporate Indentity darauf beharren können, den Unternehmensnamen in Versalien zu schreiben und den Claim am liebsten irgendwo in der Headline unterzubringen. Schließlich wurden die Unternehmen jahrzehntelang darauf getrimmt, nach außen ein möglichst einheitliches Bild abzugeben, um als Marke erkannt zu werden.

Klassisch gesehen ist Kommunikation Kontrolle

Wie weit die Versuche gehen können, die Kommunikation unter Kontrolle zu halten, zeigt eine Recherche des Magazins Zapp im Rahmen der Internationalen Automobilausstellung. Letztlich sind schon Journalisten aus dem Blickwinkel der klassischen Kommunikation einer der wenigen Unsicherheitsfaktoren, welche das Markenbild von Produkt oder Unternehmen beeinflussen können. Allerdings ist die Schar der für ein Unternehmen relevanten Journalisten meist überschaubar. Zudem bewegt sich die Kommunikation mit Journalisten in festgelegten und seit langem tradierten Rollen. Alle weiteren Inhalte, die Unternehmen verbreiten, finden sich ansonsten im Regelfall in Owned-Medien oder Paid-Medien wieder, bei denen die Kontrolle über den Inhalt nicht abgegeben wird. Keine Gefahr im Verzug also, und auch kein Grund, Angst vor etwas zu haben.

Und dann ist da das dunkle schwarze Loch Social Media. Und auf einmal stellt man fest, dass bei der Betrachtung eines fehlt: Der Empfänger der frohen Unternehmensbotschaft. Der konnte bislang auch recht stiefmütterlich behandelt werden, denn er war ja nichts anderes als bloßer Empfänger, auf den die gesendeten Inhalte irgendwie wirken. Sagen konnte er dazu nichts, denn ein Rückkanal fehlte. Eben an dieser Stelle fängt das Unbehagen und die Angst vor Kontrollverlust an. Denn plötzlich ist der Kunde nicht mehr nur in der grauen Masse der Zielgruppe versteckt, sondern ein Individuum mit einer Stimme.

Coca Cola Marketing Ziel: “…to create ideas so contagious they connot be controlled”

 Von der Zielgruppe zum Individuum

Der Kunde wird zum Sender und kann seine Meinung, die dann auch noch von anderen Kunden wahrgenommen wird, zu Produkten und Unternehmen öffentlich kundtun. Das Unternehmen hat die Meinungshoheit über sich nicht mehr exklusiv. Eigentlich hat es die aber noch nie gehabt. Meinungen wurden schon immer über das Unternehmen ausgetauscht, nur blieben diese bislang im privaten Kreis und das Unternehmen bekam nichts davon mit. Ganz abgesehen davon, dass Unternehmen auf vielen verschiedenen Ebenen kommunizieren, die nur mäßig kontrollierbar sind und leider nur zu selten ins Blickfeld der Kommunikatoren gelangen. Marke ist mehr als Logo und Claim. So bildet sich die Marke, vom Verkaufsgespräch bis hin zu direktem Produkterlebnis, vor allem da, wo ein direkter Kontakt mit den Kunden stattfindet. Denn die Stärke einer Marke misst sich nicht zuletzt an der Loyalität ihrer Kunden. Direktes Erleben hat hier einen wesentlich intensiveren Einfluss als die Wahrnehmung von „Werbeslogans“.

Das praktizierte Zurückschrecken vor dem Einsatz von Social Media ist nun aber die schlechteste aller Lösungen und führt im Endeffekt erst zum Kontrollverlust. Denn die Kunden und Interessenten werden über das Unternehmen reden, ob es dabei ist oder nicht. In dieser Hinsicht aber von der Angst vor einem Kontrollverlust zu sprechen, ist deutlich zu hoch gegriffen. Gespräche sind nicht per se gut oder schlecht. Wahrscheinlich wird unter dem Stichwort Kontrollverlust daher auch das verstanden, was im Netz als Shitstorm bekannt ist. Schaut man sich dabei die Bedingungen an, unter denen ein Shitstorm entsteht, dann kann man daraus eine Menge lernen. Lose kategorisiert gibt es eigentlich nur zwei Ursachen von Shitstorms.

Die Angst vor dem Shitstorm

Bei der ersten Kategorie liegt die Ursachen allein in Social Media, beziehungsweise, der Art wie Unternehmen mit Social Media umgehen. Meist sind es Kampagnen, die von den Nutzern gehijackt werden, wie das bekannte Prilbeispiel „Schmeckt lecker nach Hähnchen“.  Kann passieren und dessen muss man sich bewusst sein, denn es wird immer schwieriger, sich gegen die Intelligenz und den Ideenreichtum der Masse nach allen Seiten abzusichern. Was aber einen richtigen Shitstorm daraus werden ließ, war der Versuch von Pril, im Nachhinein die Regeln des Wettbewerbs zu verändern, so wie eine Kommunikation von oben herab. Dass es auch anders geht, zeigt das Beispiel Otto, die den Spaß mitgemacht haben und so in ihrer Zielgruppe punkten konnten.

Viel interessanter und häufiger als diese rein auf Social Media bezogenen Shitstorms sind hingegen die Shitstorms, welche ihre Ursache außerhalb von Social Media haben. Unabhängig, ob man die Greenpeace Kampagnen gegen Volkswagen und Nestl, die Blogger-Abmahnungen von Jako und Wolfskin oder die regelmäßige Kritik an der Deutschen Bahn nimmt: die Ursache für den Shitstorm sind nicht in Social Media, sondern im Handeln der Unternehmen begründet. Social Media sind hier nur ein Katalysator für die Meinungen von Kunden und Interessenten. Und selbst hier zeigen Studien, dass Unternehmen, die proaktiv mit der Situation umgehen, besser durch die Krise kommen, als Unternehmen, die restriktiv gegen Fans und Kritiker vorgehen. Voraussetzung für eine proaktives Krisenmanagement ist allerdings ein Social Media Engagement.

Nicht nur reden, sondern auch danach handeln

Social Media ist dabei noch lange nicht das Ende der Kontrolle über Corporate Identity und Marke. Unternehmen müssen nur viel stärker als bisher alle Unternehmensprozesse an dem, was sie im Rahmen ihrer Corporate Identity sagen, ausrichten. Wer sich nachhaltige, umweltfreundliche Produkte auf die Fahne schreibt, der muss in allen Belangen des Produktionsprozesses darauf achten und danach handeln. Wer sagt, dass er kinderfreundlich ist, der muss dies bis hin zum Umgang mit seinen Mitarbeitern umsetzen. Kleine Brüche zwischen Reden und Handeln werden noch geduldet, die Vorstände des umweltfreundlichen Unternehmens können ihre SUVs also behalten, aber je größer der Bruch, desto wahrscheinlicher der Shitstorm und der Kontrollverlust in Social Media.

In diesem Sinne müssen die Kommunikationsabteilungen ihr Verständnis von Corporate Identity erweitern. Die Art, wie bislang aus den Unternehmen heraus kommuniziert wird, funktioniert so nicht mehr. Das klassische Beispiel der ins Netz gestellten Presseinformation erzeugt mehr Unmut als Kontrolle. Dabei lässt sich eine Corporate Identity durchaus kontrolliert in Social Media übertragen. Unternehmen müssen nur den Mut haben, die Inhalte entsprechend aufzubereiten. Wer nur den Slogan „Von Natur aus umweltfreundlich“ für sich beansprucht, dies aber in seiner Unternehmenskultur nicht lebt, der wird bestenfalls ignoriert. Wer es aber schafft, viele Geschichten im Kleinen und im Großen zu erzählen, welche die Umweltfreundlichkeit durch das Handeln des Unternehmens belegen, dem werden die Menschen glauben und der wird seine Marke nachhaltig stärken. Wer es darüber hinaus dann auch noch schafft, die Menschen im Rahmen von Aktionen zum Mitmachen zu bewegen, der lässt seine Marke wie im Coca Cola Beispiel erlebbar werden. Weit mehr als die standardisierten Formeln der Corporate Communication sind daher in Social Media neue offenere Kommunikationsformen wie Transmedia Storytelling gefragt.

Um es zusammenzufassen: Die Angst vor dem Einsatz von Social Media fördert den Kontrollverlust, denn die Unternehmen haben keine Möglichkeit, auf die bereits stattfindenden Gespräche zu reagieren. Ein gut geplantes Social Media Engagement gibt den Unternehmen hingegen einen Teil der Kontrolle zurück. Dazu ist es aber notwendig, Corporate Identity nicht als bloßen Kommunikationsrahmen, sondern auch als Handlungsrahmen zu verstehen. Im Gengenzug erhalten Unternehmen sogar mehr als nur die Kontrolle zurück, denn ROI kann man nicht nur als Return of Investment übersetzen, sondern auch als Return of Information wie Kunden und Interessenten denken.

 

Der Artikel ist ursprünglich als Gastbeitrag für das Blog „PR im Wandel“ entstanden und dort auch veröffentlicht worden. Das Blog PR im Wandel ist aus einem Seminar der Universität Bamberg entstanden. Die Zusammenarbeit mit Thomas Mavridis von der PR Kanzlei hat darüber hinaus sehr viel Spaß gemacht. Danke noch einmal an dieser Stelle!

2 Gedanken zu „Kontrolle, Kontrollverlust und Corporate Identity

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